„I love managers with one arm and one hand.“ – „Why is that?“ – „Because I hate managers who say ‚But on the other hand’...“ Dieser US-amerikanische Witz legt die grundsätzliche Polarität dar, die wir tagtäglich erfahren. Das Leben ist voller Ambivalenzen. Damit einher geht oft eine innere Zerrissenheit, die gerade Menschen in Führung und Verantwortung zu spüren bekommen. Selbst moralisch gesehen ist das Leben wankelmütig, veränderlich, unzuverlässig. Da will man ein guter Mensch sein und scheitert an den eigenen Ansprüchen. Menschen mit vielen Begabungen springen teilweise ein Leben lang zwischen ihren Leidenschaften hin und her. Die Entscheidung für das eine ist die Entscheidung gegen das andere. Wie kann man da alles richtig machen?
Auch am Arbeitsplatz erfahren wir solche Spannungen: Kommt es Ihnen auch hin und wieder so vor, als ob Sie es niemandem recht machen können? Egal, wie Sie es drehen wenden, weil es einfach so viele widersprüchliche Anforderungen gibt? Oder sitzen Sie selbst sogar zwischen den Stühlen? Manche Führungskräfte erleben es als Dilemma, als Drahtseilakt, als müssten sie sich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Handeln Sie als Teil Ihres Unternehmens manchmal so, wie Sie es im Privatleben niemals gutheißen würden?
Für Führungskräfte spitzt sich diese Zwickmühle oft noch zu. Man konfrontiert sie mit Forderungen und Geboten, die sich widersprechen: Es muss anders werden, es muss digitaler werden, es muss agiler werden. Und gleichzeitig: Sie müssen wachsen, profitabler werden, Kosten senken, schneller produzieren. Aber die Qualität darf nicht leiden! Und natürlich: Handeln Sie moralisch und korrekt! Denken Sie an die Compliance, den Code of Conduct! Seien Sie ein Vorbild und bleiben Sie fachlich vorne mit dabei! Sie sollen Ihren Mitarbeitern vertrauen und sie gleichzeitig kontrollieren. Es sollen Ergebnisse geliefert werden, bei größtmöglichem Freiraum. Sie sollen partizipativ und kollegial führen und sich gleichzeitig von Minderperformern trennen. Sie sollen sich mit Ihrer Aufgabe identifizieren und dennoch Sie selbst, authentisch bleiben. Sie sollen Verantwortung übernehmen und Verantwortung abgeben, respektvoll, wertschätzend, loyal, motivierend, teamorientiert, durchsetzungsstark und kreativ sein. Vor allem aber: erfolgreich! Wer will da eine Führungsrolle übernehmen? Freiwillige vor!
Bezeichnenderweise sind es gerade diese Gegensätze, die uns Entwicklung ermöglichen, uns Fortschritt und Veränderung spüren lassen. Gäbe es keine Entscheidungen, gäbe es keinen Unterschied. Und den wollen wir ja machen. Uns abheben. Damit bringt jede Entscheidung einen Konflikt mit sich – ob wir wollen oder nicht. Der Konflikt besteht in der Mehrdeutigkeit.
So haben wir im Arbeitsleben nicht nur den Konflikt, der ambivalent ist – die Inhalte sind es auch. Müssen wir beispielsweise zwischen Freiheit und vorgegebenen Prozessen entscheiden, liegt die Ambivalenz von Freiheit zwischen Orientierungslosigkeit und Eigeninitiative, bei Prozessvorgaben zwischen Ohnmacht und Bequemlichkeit. Viele Konflikte haben die Grundstruktur des Entweder-oder. Damit kann ausgelöst werden, was Botho Strauß nannte: Die Lösung könnte auch das Problem werden. Das Entscheiden von Entweder-oder-Konflikten fällt niemandem leicht, der einen Sinn für die Vielfältigkeit unserer Welt hat. Einerseits wollen wir die vielen Möglichkeiten haben, andererseits lähmen zu viele Optionen unsere Entschlusskraft. Damit heißt entscheiden auch immer verzichten (nämlich auf alternative Optionen). Aus diesem Grund entscheiden sich leider – aus meiner Sicht viel zu viele – Menschen für die Unentschiedenheit. Was gerade der Führungseigenschaft den Boden unter Füßen wegzieht. Deutschlands meistgelesener Management-Autor Reinhard K. Sprenger zieht folgendes Fazit daraus: „Das Problem ist nicht, dass die Dinge konfliktär sind, sondern dass so getan wird, als seien sie es nicht.“
Für Menschen in Führung und Verantwortung ist es daher wichtig, ihre eine Entscheidung klar zu vertreten - und nicht etwa die Alternative nach gefällter Entscheidung abzuwerten. Damit würde die Freiheit geleugnet werden, sich auch anders entschieden gehabt haben zu können. Beide (oder mehrere) Seiten sind gleichsam gültig, beide sind möglich. Und doch wurde sich (aus diesen und jenen Gründen) für die eine Seite entschieden. Diese Variante lässt die Alternative bestehen.
Führungskräfte werden praktisch also dafür bezahlt, mit dieser Komplexität umzugehen. Tun sie es nicht, werden Unternehmensberatungen beauftragt, Alternativen nach und nach aus dem Weg zu räumen bis am Ende nur eine Variante bestehen bleibt, sozusagen unausweichlich ist – und für das Gewand des Pontius Pilatus bezahlt. Merken dies Mitarbeiter und Stakeholder, hört man öffentliche Stimmen à la „Unsere Manager entscheiden nicht, sie sichern sich ständig ab.“
Was können Sie aus diesem Beitrag lernen?
Oft ist die Entscheidung, die der Konfliktlösung dienen soll, weder schwarz noch weiß, sondern grau. Mehrere Optionen sind „ein bisschen richtig“ und „nicht ganz falsch“. Wir werden den Widerspruch nicht auflösen können, aber mit umgehen. Viele Dinge können eben auch nicht im Entweder-oder entschieden werden. Werte zum Beispiel. Auch diese gibt es nur im Doppelpack, sie können nur im Mehr-oder-weniger, Sowohl-als-auch oder Mal-so-mal-so entschieden werden. Betrachten wir Werte wie Loyalität als Fließgleichgewichte, die es je nach Situation neu zu justieren gilt. Sie sind nie stabil, sondern erfordern immer eine klare Prioritätenordnung, die an die wechselnden Sachlagen angepasst wird.
Wie gehen Sie mit Entscheidungen um? Wie bestehen Sie mit der Abwägung verschiedener Handlungsoptionen vor Ihren Mitarbeitern? Und vor Ihnen selbst? Ich freue mich sehr auf Ihr Feedback!