Erst Haltung, dann Zusammenhalt

Unsere Haltung bestimmt den Grad unserer inneren Freiheit

 

Haltungen drücken sich in unserem Körper, in unseren Gefühlen und Glaubenssätzen aus. Auch an der Körperhaltung lässt sich die innere Haltung erkennen. Wer häufig mit erhobenem Zeigefinger gestikuliert, wird eher in einer autoritären Haltung zuhause sein. Eine geballte Faust weist auf eine aggressiv-selbstorientierte Haltung hin. Jede Haltung hat ihren eigenen Sprachraum mit eigenem Wortschatz. Die Wörter, die wir benutzen, sind Spiegel unserer Innenwelten. Jeder, der sich schon einmal einen allzu trockenen Vortrag über Finanzen anhören durfte, kennt das Gefühl, in einer rationalistischen Denkweise „verhaftet“ zu sein. Unsere Haltung erzeugt die Vorstellung von dem Menschen, der wir zu sein glauben. Haltungen machen deutlich, wie wir die Welt wahrnehmen und interpretieren. Besonders hartnäckig sind die Denk- und Verhaltensmuster, die wir von klein an erlernt haben, bevor wir uns selbst reflektieren konnten. Diese Muster können sich in unbewussten inneren Abwertungen und negativen Glaubenssätzen äußern, die verhindern, dass wir heute stets bewusst und der Situation angemessen reagieren können. Je mehr unsere innere Haltung gereift ist, desto klarer können wir unser inneres Erleben und infolgedessen den Verlauf unseres Lebens beeinflussen.

 

Mit dem Bewusstsein für unsere eigene Entwicklung können wir auch unser Gegenüber als ein sich entwickelndes Wesen annehmen. Während wir in früheren Reifephasen glauben, dass unsere aktuelle Konstruktion der Wirklichkeit allgemeingültig ist, befähigt unsere Reife uns, umfassender und inkludierender zu denken, so dass wir eine größere Toleranz für das Anderssein etablieren. Wir respektieren andere Menschen in ihrem System und in ihrer Autonomie. Haben wir unseren eigenen Wert als Mensch erkannt, können wir ihn auch in anderen sehen. Es gilt, jede Haltung anzuerkennen und die dahinter liegenden Bedürfnisse zu würdigen. Diese Erkenntnis bietet uns die größtmöglichen Lösungschancen im Zusammenleben und in der Zusammenarbeit.

 

Während Unternehmer und Führungskräfte darin geübt sind, in Ursache und Wirkung zu denken, lernen Coaches und Trainer das systemische Denken für den Umgang mit komplexen Problemen. Ein gutes Instrument, um sich der systemischen Denkweise als Kompetenzerweiterung anzunähern, sind zirkuläre Fragen. Diese Fragetechnik geht auf Fritz B. Simon zurück, der sich bis heute mit der Forschung und Lehre zur Organisationsberatung beschäftigt.

 

Beispiele für zirkuläre Fragen, um mehrere Perspektiven wahrzunehmen:

 

  • Was denken Sie, wie sich Ihre Mitarbeitenden in dieser Situation fühlen?
  • Wie würde Ihr Kollege Ihr Verhalten empfinden, wenn er mit im Raum säße?
  • Wie würde Ihre Mitarbeiterin Ihr Führungsverhalten beschreiben?
  • Wer ist aus Kundensicht wichtiger für das Projekt – Sie oder Ihre Kollegin?
  • Wie würden Sie als Beschäftigter auf die geplante Umstrukturierung reagieren?

 

„Stell Dir vor...“ – Haltung ist Training

 

Zirkuläre Fragen schaffen Bewusstheit für die Verbindungen, das Beziehungsgeflecht und die Bedürfnisse des Einzelnen. Wir fragen „über Eck“ und helfen dem gegenüber so, die Perspektiven anderer Beteiligter aus dem System mit einzubeziehen. Leider scheint diese Mühe einigen Führungskräften noch zu groß zu sein. Sie regieren durch und wundern sich dann, dass ihre Mitarbeitenden sich so wenig verbunden fühlen.

 

Dank unserer emotionalen Kompetenzen sind wir in der Lage, mit Werten und Sinn zu führen. In dieser Haltung sind fähig, entwicklungsorientierte Rahmenbedingungen für jeden zu schaffen. Das Fundament bildet sich aus Gemeinsamkeiten. Wer Menschen im Wandel führen möchte, muss die Menschen emotional erreichen. Denn Neuroplastizität und die damit verbundene Fähigkeit, sich als Erwachsener zu verändern, entsteht über emotionale Erlebnisse. Nur wenn wir die emotionale Dimension anerkennen, können wir langfristig und nachhaltig Menschen und Organisationen verändern.

 

Der Wandel wird oft nur als technischer Wandel propagiert, dem sich die Menschen anzupassen haben. Sie sollen besser funktionieren, resilienter werden, veränderungsbereiter. Doch nicht die Menschen müssen sich den neuen digitalen Maschinen anpassen, sondern umgekehrt. Einen starken Hinweis darauf gibt uns der immer größer werdende Wunsch der Menschen nach Selbstentfaltung. Die Bereitschaft, ein Leben zu führen, das auf Funktionieren beruht, nimmt täglich ab und zeigt sich in den hohen Kündigungszahlen trotz unsicherer Zeiten und Fachkräftemangel.

 

Aus einer Haltung, die Selbstentfaltung zulässt – nennen wir sie systemisch-autonome Haltung (nach Martin Permantier), können wir zukunftsfähige Führungssysteme gestalten, die entwicklungsorientiert sind und Mitarbeitende da abholen, wo sie sind. Die systemisch-autonome Führung ist die Antwort auf unsere komplexe Welt und geht über einfache Lösungsrezepte hinaus. Sie legt eher die Richtung fest und hält den Fokus. Sie gibt Raum für die unterschiedlichen Bedürfnisse und Haltungen der einzelnen Beteiligten. Wie die Lösungen im Einzelnen aussehen, hängt wiederum von den unterschiedlichen Kulturen ab. Die Fähigkeit des systemischen Blickes erlaubt, diese Vielfalt in Einklang zu bringen, ohne gleichmachend zu sein.

 

Haltungen können experimentell geübt werden

 

Wer recht haben will, hemmt sich. Gezielt andere Haltungen einzunehmen trainiert, die eigene Rechthaberei loszulassen. Kaum etwas ist so förderlich für die Entwicklung der eigenen Führungskompetenzen wie den Drang ziehen lassen zu können, recht haben zu müssen. Deshalb ist es wichtig zu erkennen, dass Haltungen experimentell geübt werden können. Stellen Sie sich eine Frage und beantworten sie diese aus Ihrer Perspektive heraus – und dann ebenso aus der Perspektive von drei, vier oder fünf anderen Personen. Welche Sichtweisen fallen Ihnen leicht und welche schwer? Sie können das auch im Team ausprobieren. Besonders erhellend ist die Arbeit, wenn Sie sich vorstellen, beide (oder sogar alle) Antworten auf die Frage sind richtig. Die Methode eignet sich besonders bei Konflikten gut, um den eigenen Horizont und das persönliche Repertoire zu erweitern. 

 

Vertrauen lernen, Loyalität ernten

 

Ein Kernproblem vieler Führungskräfte ist, dass sie nicht delegieren können. Sie vertrauen ihren Mitarbeitern nicht und denken „Wenn es gut werden soll, mache ich es lieber selbst“. So verharren Führungskräfte in ihrer Rolle als Fachkraft, anstatt unternehmerischer zu denken. Das liegt weniger an der objektiven Inkompetenz ihrer Mitarbeitenden, die natürlich anfangs etwas brauchen, bis sich Routine einstellt. Häufig sind es Glaubenssätze, in denen sie sich über ihre Fähigkeiten definieren. Insbesondere wenn sie sich selbst noch nicht in ihrer neuen Führungsrolle trauen, legen sie den gewohnten Maßstab der Fachkraftbeurteilung an. Erst mit der Zeit verstehen sie, dass eine Führungskraft nicht alles am besten können muss, sondern das Beste in anderen fördern kann. Mit jeder Aufgabe, die Sie nicht delegieren, nehmen Sie den anderen die Chance, zu wachsen.

 

Den Fokus auf die Stärken legen

 

Führungskräfte, die sehr kritisch gegenüber ihren Mitarbeitenden sind, sind es meist auch mit sich selbst. Schauen wir uns den Prozess genauer an, erkennen wir hinter den Urteilen meist fehlendes Selbstvertrauen. Goethe sagte: „Wer die Menschen so behandelt, wie sie sind, der macht sie damit schlechter. Wer aber die Menschen so behandelt, wie sie sein könnten, der macht sie damit besser.“ Selbstvertrauen stärken wir, indem wir Menschen etwas zutrauen. So lernen sie uns zu vertrauen und gleichzeitig trauen sie sich selbst, Neues zu wagen.

 

Auf emotionale Bedürfnisse reagieren

 

Zu den größten Herausforderungen von Führung gehört es, mit den unterschiedlichen Bedürfnissen und Emotionen der Mitarbeitenden klarzukommen. Insbesondere problematische Beschäftigte binden die Aufmerksamkeit, weil sie Konflikte scheuen. Weil sie Ungewissheit nicht aushalten können. Weil sie neben vielen äußeren Faktoren selbst zum Eskalationsrisiko werden. Fragen Sie sich beim Blick auf solche „Problemmitarbeiter“: „Warum ist es für manche Menschen so schwierig, von mir geführt zu werden?“

 

Eine Führungskraft muss nicht gemocht, sondern respektiert werden. Es gibt immer wieder Situationen, in denen auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Haltung der Führungskraft zeigt sich in ihrer Fähigkeit, intelligent mit ihre eigenen Emotionen umzugehen. Als Kinder haben manche Menschen gelernt, dass Konflikte und Liebenswürdigkeit (ggf. Zugehörigkeit) unvereinbare Gegensätze seien. Mittlerweile Erwachsene, sollten alle gelernt haben, dass eine Person als Mensch immer getrennt von einem Konflikt(-verhalten) zu betrachten ist. Gleichbedeutend ist der Lernfortschritt, Konfrontationen anzunehmen, ohne das Selbstvertrauen in unsere grundsätzliche Liebenswürdigkeit zu verlieren, die sich auch in dem Zugehörigkeitsgefühl innerhalb eines Arbeitsteams widerspiegelt.

 

Haltungsentwicklung ist Führungsaufgabe

 

Führungskräfte, die darauf verzichten, ihre Haltung weiterzuentwickeln, bremsen die Entwicklung der gesamten Organisation. Möchten wir unser Haltungsspektrum erweitern, brauchen wir die explizite Bereitschaft zur Fortbildung. Der Wille muss von uns selbst ausgehen. Sind wir in der Verneinung und erleben Veränderung als Zumutung wird es schwer. Das ist oft das Dilemma, wenn eine Organisation von „oben“ beschließt, die Kultur zu verändern. Mit dieser Einstellung wird es schwierig, den Wandel anzustoßen. Wieder sind wir bei dem Punkt: Entwicklung braucht emotionale Beteiligung. Wer nicht will und keine noch so kleine Bereicherung in der gemeinsamen Entwicklung sieht, wird sich nicht bewegen. Die Kehrseite: Bieten wir unseren Mitarbeitenden keinen Sinn und keine Perspektive, dann lassen sie sich das bezahlen. Lassen Sie sich auf die Frage ein: „Warum lohnt es sich für Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich gemeinsam weiterzuentwickeln?“


 
Der Teamgeist ist die größte Ressource für die Zufriedenheit der Beschäftigten. Wenn ich im Zusammenhang mit Workshops Mitarbeiterumfragen anstelle, zeigt sich immer wieder: Die Zufriedenheit der Menschen mit ihrem Team ist meistens sehr hoch. Es mag Beschwerden über Prozesse, intransparente Kommunikation der Gesamtorganisation oder an Führungsstilen geben, doch das Team ist für die meisten Mitarbeitenden ein emotionales Zuhause. Das beinhaltet Akzeptanz und Wertschätzung, in den überwiegenden Fällen emotionale Offenheit und die Förderung individueller Potenziale. Füllen wir auf dieser Basis die Teamentwicklung mit Appellen, Fokussierung auf Fehlern und unrealistischen Vorgaben, verhindern wir diesen Raum für offenen Dialog und Entwicklung. Wie muss der Weg zu mehr Arbeitszufriedenheit und Teamgeist also aussehen?

 

Von der Haltung zum Zusammenhalt

 

Eine Zeit lang versuchten Unternehmen, ihre Beschäftigten mit immer neuen Incentives zu halten. Gleichzeitig wissen wir, dass in einer Gesellschaft, in der viele materiell abgesichert sind, Zeit das wertvollste Gut ist. So wurde und ist Zeitsouveränität zu einem der wichtigsten Kriterien für die Arbeitsplatzwahl. Doch die wichtigsten Gründe für Arbeitnehmerzufriedenheit sind die Kultur und die emotionalen Bindungen, die am Arbeitsplatz entstehen können. Sie sind der größte Hebel. Wenn Werte und Haltung eines Unternehmens zu uns passen und wir das Gefühl haben, dort so sein zu können, wie wir sind, und uns individuell entwickeln zu können, dann ist unsere Loyalität zum Unternehmen gesichert.

 

Keine Führungskraft hat gelernt, wie man Unternehmenskultur strategisch entwickelt. Unter Berücksichtigung der Haltung können wir drei Aspekte der Teamentwicklung in den Blick nehmen: Teamgeist (die innere Haltung der Teammitglieder), Teamführung (das äußere Verhalten der Beteiligten) und Teamstrukturen (wie die Zusammenarbeit organisiert ist). Jeder Aspekt entfaltet je nach Haltung eigene Charakteristika. Entsprechend ist auch der nächste Entwicklungsschritt für jedes Team ein anderer. Bei der Entwicklung der Teamkultur ist wichtig, die einen nicht zu überfordern und die anderen nicht zu unterfordern. Damit das gelingt, braucht die Führungskraft eine reife, systemisch-autonome Haltung, die Mitarbeitende in allen Haltungen adäquat führen kann. Solange jemand das ganze Spektrum noch nicht sehen kann und glaubt, seine Haltung wäre der einzige Maßstab, wird er einen Teil der Mitarbeitenden nicht gut führen können. In kleineren Unternehmen kann man sich die Mitarbeitenden entsprechend der bevorzugten Haltung aussuchen. Bei großen Unternehmen sollten zumindest die Führungskräfte über die angestrebte Reife verfügen und ein gemeinsames Bild von der gewünschten Teamkultur haben.

 

Kultur ist ein sich permanent veränderndes Phänomen. Personen und ihr Verhalten in einem bestimmten Kontext sollten immer getrennt voneinander betrachtet werden. Unabhängig von der Haltung, die jemand einnimmt, ist jeder Mensch „okay“. Jeder hat die Möglichkeit, seine Haltung zu wechseln und die Art zu erweitern, wie er die Welt deutet und für sich als sinnvoll empfindet. Ob, wie und in welchem Zeitraum er das möchte, ist seine autonome Entscheidung. Für die Führung ist wichtig, das Gesamtbild des möglichen Entwicklungsweges vor Augen zu haben und zu sehen, wo jeder schwerpunktmäßig steht – auf individueller wie auf Teamebene. Das Erreichen einer neuen Haltung ist in diesem Sinn kein Ziel, sondern ein Resultat von Entwicklung. Die Entwicklung einer Teamkultur braucht also eine Reifung der Führung.

 

Empathie als Anforderung ans Management

 

Wo sollen Sie also anfangen? Jede Organisation hat ihre Geschichte, ihre eigene Kultur, ihren eigenen Sinn und eigene Hindernisse. Kein Ratgeber oder Berater kann dafür ein Patentrezept liefern. Was wir – und andere HR-Berater – bieten können, sind Methoden. Mit diesen Methoden können das Insiderwissen und die Potenziale von und mit den Mitarbeitenden freigelegt werden. Was die Organisation braucht, hängt davon ab, wo sie steht und was die Beschäftigten und die Führung wollen.

 

Drei praktische Dinge für Ihren Führungsalltag

 

Ich glaube, Führung braucht drei Qualitäten, wenn sie nicht Entwicklungsbremse sein will:

 

  • Präsenz benötigen wir, um überhaupt im Hier und Heute handlungsfähig zu sein. Dafür dürfen wir gern jeden Tag ein „zweites Mal“ aufwachen, indem wir unsere Haltung und unsere Automatismen hinterfragen.
     
  • Mut unterstützt uns, auch außerhalb unserer Komfortzone Erfahrungen zu machen – zum Beispiel indem wir uns in einer neuen Haltung ausprobieren.
     
  • Empathie hilft uns, unsere emotionale Intelligenz zu benutzen um neue Möglichkeiten zu erkennen. Sie bringt das nötige Mitgefühl für uns selbst und die anderen mit, das wir brauchen um Ausgeglichenheit und Geduld zu finden, die Entwicklung erfordert.
     

 

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