Lieber Personal auf Vorrat sichern?

Der neue Recruiting-Trend, den ich bei Unternehmen wahrnehme, ist es, „Personalvorräte“ anzulegen. Im Krieg um Nachwuchstalente und Fachkräfte werden zusätzliche Personalkosten durch „Mitspielende auf der Reservebank“ von immer mehr Firmen in Kauf genommen. Eine repräsentative Umfrage unter Personalern für Focus Online hat ergeben, dass rund 82 Prozent der Befragten jemanden unter Vertrag genommen haben, dessen Arbeitskraft zum Zeitpunkt der Einstellung noch nicht erforderlich war. Zehn Prozent der Befragten haben „sehr häufig“ zu dieser Methode gegriffen. 



Worin zeigt sich und welche Vorteile verspricht das Hamstern von Beschäftigten?


  • Bewerber werden nicht direkt abgelehnt


Das strikte Aussortieren von Bewerbungen erfolgte bis vor kurzer Zeit noch rabiat, wenn es zum aktuellen Zeitpunkt keine passende Stelle für jemanden gab. Auch die Abwertung von Bildungsabschlüssen, wenn diese „niedriger“ waren, hat dazu beigetragen, bestimmte Personen schon zu Beginn abzulehnen. Jetzt zeigt sich allerdings ein großes Umdenken: Potenzielle Arbeitnehmende bekommen auch ohne (viel) Berufserfahrung einen Job. Es wird zudem mehr Zeit eingeräumt, sich auf Positionen vorzubereiten. Ich sehe immer häufiger die Tendenz: Wer wichtige Soft Skills bereits mitbringt, wird angenommen und kann Hard Skills noch erlernen.


  • Überarbeitetes Personal bekommt Unterstützung


Ob in der Pflege, im IT-Bereich oder in Handwerksbetrieben: Personaldefizite werden durch Mehrarbeit und Überstunden bestehender Beschäftigter ausgeglichen. Dummerweise führt das vielerorts zu Überlastung und Ausfällen. Alle Seiten leiden unter dem Mangel. Auch deshalb wird versucht, neue Kolleginnen und Kollegen direkt zur Entlastung der Beschäftigten einzusetzen. So soll auf diesem Weg doppelt profitiert und im Rahmen der Möglichkeiten zeitgleich eingearbeitet werden.


  • Zeit für Arbeitnehmer, in Ruhe anzukommen

Potenzialentfaltung geschieht am besten in einem freien Raum ohne Druck.  Die Erfahrung zeigt, dass in so einem Umfeld neue Skills zum Vorschein kommen, die in speziellen Positionen hilfreich sein können. Der neue Trend birgt die Möglichkeit, Chancen und Wege auszuloten, um so zusammenzuarbeiten, dass ein Mehrwert für beide Seiten entsteht. Angestellte genießen Entwicklungsspielraum und Unternehmen wirken dem Personaldefizit sinnvoll entgegen.

Auf dem Personalmarkt geht es zu wie auf dem Basar


In immer mehr Branchen steigt der Fachkräftemangel an und gut ausgebildete Menschen, insbesondere mit ausgeprägten Soft Skills, sind schnell „vergriffen“. Die Sicherung von Arbeitskräften wird immer kreativer, denn mit dem hohen Tempo, mit dem sich digitale Trends und die Arbeitswelt sich entwickeln, können die meisten Ausbildungsbetriebe und Universitäten nicht mehr mithalten. Quereinsteiger ohne fachliche Qualifikation haben gute Chancen, on-the-Job zu lernen und Weiterbildungen zu absolvieren. Die Auswahl der Talente erfolgt dennoch nicht wahllos, es fällt auf, dass sich vor allem auf junge, talentierte Nachwuchskräfte und Arbeitnehmende im mittleren Karrierelevel konzentriert wird. Damit steigen insbesondere für Berufseinsteigende der Generation Z die Chancen auf einen Arbeitsplatz ihrer Wahl und so manche, kürzlich noch als skandalös abgetane Erwartungshaltungen werden ernsthaft diskutiert. 

Worauf Unternehmen jetzt achten sollten

 

Um Personal nachhaltig zu sichern, sinnvoll einzusetzen und Zufriedenheit zu schaffen, sollten die folgenden Punkte bedacht werden:

 

1. Nicht nur einstellen, sondern auch begleiten


Personal „auf Vorrat“ verleitet dazu, es „einfach so“ laufen zu lassen – das ist allerdings die größte Gefahrenquelle für Missmut auf allen Seiten. Wer einstellt, sollte vor allem bereit sein, sich der fachlich einarbeitenden und sozial integrierenden Aufgabe mit allen vorhanden Ressourcen zu widmen. Es braucht für den entscheidenden Loyalitätsaufbau eine Ansprechperson, die Orientierung gibt und unterstützt. Beschäftigtenbindung ist und bleibt ein längerer Prozess, der besonders von Führungskräften eng begleitet werden muss.

 

2. Loyalität fußt auf Werten und Haltung – eine starke Arbeitgebermarke stützt diese


Wer sich strategisch am hart umkämpften Personalmarkt positionieren will, braucht heute eine starke Arbeitgebermarke. In Bezug auf das Personalmarketing sollten folgende Fragen rund um die Identität der Marke beantwortet werden:

 

  • Was macht Ihr Unternehmen als Arbeitgeber einzigartig?
  • Für welche Werte steht Ihr Unternehmen?
  • Welche Top-Gründe sprechen dafür, dass potenzielle Mitarbeitende sich bewerben sollten?
  • Welchen Unterschied macht Ihr Unternehmen von der Konkurrenz?


Wichtig: Eine Arbeitgebermarke hat nur Erfolg, wenn die nach außen kommunizierten und dargestellten Inhalte zutreffen. Das bedeutet, dass die gelebte Kultur die angebotenen Beschäftigtenvorteile um Längen überragt. Arbeitgeberbewertungsplattformen und Ihre Profile in den sozialen Medien spielen eine bedeutende Rolle und tragen zur Meinungsbildung von möglichen Bewerberinnen und Einsteigern bei.


3. Arbeitszufriedenheit sollte in den Fokus rücken


Was brauchen Angestellte, um sich glücklich und produktiv zu fühlen? Führungspersonen, die diese Kriterien eine attraktive Arbeitsumgebung kennen: Wertschätzung, angenehme Arbeitsatmosphäre, flexible Gestaltungsmöglichkeiten für die verschiedenen Aufgabenfelder und Arbeitszeiten, Entscheidungsspielraum für Mitarbeitende sowie loyale und reflektierte Führungskräfte.

 

Achtung vor Beliebigkeit und Paniktrend!


Wer wahllos einstellt, riskiert Zeit, Geld und die Zufriedenheit seiner Beschäftigten. Um Fluktuation vorzubeugen und finanzielle Risiken zu senken, sollte deshalb nicht ohne die Erstellung eines individuellen Fahrplans eingestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit der aktuell vorherrschenden, Angst behafteten Denkweise aus einem Trend ein „Paniktrend“ wird, in dem einfach aus Prinzip mit auf den Zug aufgesprungen wird, halte ich nicht für ausgeschlossen.



 

Fazit: Personalhamstern wird den akuten Fachkräftemangel nicht besiegen. Vielmehr macht diese Zeit noch deutlicher, wo unternehmensinterne Herausforderungen zu bewältigen sind. Wägen Sie sich bitte nicht in falscher Sicherheit, falls Ihre Personalkostenrechnung jetzt gerade aufgeht. Auch in Zukunft werden Arbeitnehmer fehlen. Erst die Zeit wird zeigen, wie das Problem des generellen Personal- und Fachkräftemangels, auch in Hinblick auf die interne Weiterbildung, Personalentwicklung und digitale Hilfsmittel gelöst werden kann.

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