Wie Sie getarnter Aggression begegnen

Ich nehme an, dass Sie – wie ich – schon diversen Aggressionsmechanismen im Arbeitsleben ausgesetzt waren. Und möglicherweise wissen Sie auch, dass die typischen, häufig vorkommenden Hackordnungskämpfe um Rang und Eitelkeit, die zumindest im direkten Konfliktgespräch geklärt werden können, die weit harmloseren sind. Man nennt sie vertikale Auseinandersetzungen. Heute möchte ich mit Ihnen die diffizileren, horizontalen Auseinandersetzungen behandeln, bei denen sich Aggression nicht nur situativ äußert, sondern vor allem relational. Bei dieser Form des Konfliktes baut sich der Stress nicht auf einer einzigen Situation auf, sondern die ganze Beziehung zwischen zwei Meinungsseiten wird zum Träger der Aggression. Das bedeutet, dass sich ein solcher Konflikt einerseits über einen längeren Zeitraum aufbaut und damit auch länger anhält. Das Gemeine an ihm sind die ausdifferenzierten methodischen Steigerungsmöglichkeiten, insbesondere über die Konkurrenz über persönliche Nähe und den Entzug von Zugehörigkeit. Dieses manipulative Nähe-Distanz-Spiel findet häufiger unter Frauen innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft statt. Männer sind seltener in solche Intrigen involviert, da sie zum einen Rangordnungen spielerischer ausfechten und zweitens die meisten Problemlösungen rational klären wollen. 

 

Hier bewegen wir uns allerdings auf einer ganz anderen Ebene. Die getarnte Aggression funktioniert vor dem Schleier der rituellen Höflichkeit. Es kommt das ambivalente Lächeln zum Einsatz. Während Männern diese Strategie der Konfliktausübung oft als bedeutungslos, wenn nicht sogar übertrieben unterwürfig vorkommt, wirken diese Signale für unreflektierte Personen als rangmindernd und geradezu als Einladung, sich jetzt erst recht durchzusetzen. Doch ein Lächeln der mit Worten verletzenden Aggression vorzubeugen, à la „Dieses Kleid steht Ihnen ja besonders gut! Ich muss Ihnen ab nächstem Monat leider die Stunden reduzieren“, wird zum zweischneidigen Schwert. Denn während dieses Lächeln von Dreistigkeiten ablenkt, wirkt es auf den bzw. vornehmlich auf das weibliche Gegenüber zutiefst lähmend. Solche Lächel-Attacken wirken wie ein kommunikatives Nervengift und machen das Opfer wehrlos. Das nonverbale Signal wirkt stärker als die verbale Botschaft – und doch wird die Zumutung platziert.

 

Den Schlüssel zum Verständnis dieses Verhaltens liefern die Spiegelneuronen, denn Intuition funktioniert mithilfe des Resonanzphänomens: Ein Verhalten, das eine Person vormacht, wird von ihrem Gegenüber nachgeahmt, meistens ohne es zu merken. Dieser Hang zur Resonanz führt also in die Irre – aufgrund mangelnder Zeit, um die Gesamtsituation zu begreifen, so dass der Verstand das Nachsehen hat. Unser intellektuell-analytisches System ist langsam. Während Spiegelneuronen spontan und schnell arbeiten, dauert es viel länger, über jemanden und dessen Verhalten nachzudenken und es einzuschätzen.

 

Diese getarnte Aggression fällt immer sehr subtil aus, so dass sie schwer zu durchschauen und nur mühevoll abzustellen ist. Möchte jemand nun aus so einer verqueren Situation aussteigen oder fliehen, gibt es nur eine effiziente Form der Gegenwehr: das nicht gern gesehene, unhöfliche Unterbrechen. Schon mit der Frage: „Verstehe ich Sie richtig, dass...“, kommt man aus der Lähmung heraus und kann wieder auf eine inhaltliche Auseinandersetzung zurückleiten. Aus meiner Erfahrung heraus lassen sich Frauen viel häufiger solchen verpackten Gemeinheiten aussetzen, weil es den meisten beigebracht worden ist, andere aussprechen zu lassen. Die Unterbrechung mithilfe der konkreten Namensnennung ist dabei nochmals wirkungsvoller, um den Spieß umzudrehen und die Initiative zurückzugewinnen. 

 

Eine weitere Variante der getarnten Aggression verläuft schriftlich, per E-Mail oder Kurznachricht. Nicht selten werden hier sogar Smileys verwendet, um sich betont freundlich zu maskieren. Ich habe erlebt, dass gerade Berufseinsteigerinnen mit hohem Engagement und noch besserer Ausbildung derart gedemütigt worden sind – weil man ihnen fachlich nicht das Wasser reichen konnte, sie aber als störend empfand. Der Klassiker ist die Urlaubsvertretung: Plötzlich ist der Urlaub da und zur Übergabe wurde nur noch schnell eine Liste mit To do’s angefertigt. Unter vielen verschiedenen Aufgaben wurden diverse Sortier- und Aufräumarbeiten „versteckt“, die ganz sicher nicht zeitkritisch waren und zwingend während der Abwesenheit der Stelleninhaberin hätten erledigt werden müssen. Unter dem Deckmantel der Freundlichkeit wurde hier eine leistungsbereite junge Frau zur Putzfrau degradiert. Eine solche schriftlich-freundliche Attacke hat den kleinen Vorteil, dass sie mehr Zeit zur Reflexion bietet, weil es kein Gesicht dazu gibt, auf das die Spiegelneuronen reagieren können. Aus diesem Grund funktioniert diese Methode seltener, bleibt aber immer noch wirkungsvoll bei all denjenigen, die lieber an Ethik und Moral anstelle der Unverschämtheit glauben wollen.

 

Eine dritte Ausgestaltung möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Es ist die der vorgeschobenen Erkrankung. Dieses Beispiel erwähne ich bewusst trotz der Tatsache, dass auch mir eine chronische Erkrankung zuteil ist. Ich kenne alle Stigmata, mit denen sich Menschen mit Beeinträchtigung auseinandersetzen müssen, bin Vorurteilen begegnet und habe selbst die eine oder andere Diskriminierung erlebt. Gerade aus diesem Grund ist es mir wichtig, mich mit einer klaren Haltung zu positionieren, denn schwarze Schafe gibt es auf beiden Seiten des Tisches. Es gibt Arbeitgeber und Führungskräfte, die Menschen mit Handicaps die Tendenz zur Faulheit oder hohe Abwesenheitszeiten unterstellen – und es gibt Arbeitnehmer, die sich auf einem erhöhten Kündigungsschutz auszuruhen wissen. Beides ist falsch! 

 

In meinem Beispiel weiß eine weibliche, langjährig im Unternehmen tätige Führungskraft ihre Untergebenen gezielt auszuspielen, indem sie sich immer dann aus Krankheitsgründen entzieht, wenn es darum geht, schwierige Entscheidungen zu treffen, unangenehme Nachrichten zu verkünden oder schlicht, wenn sie aus eigenem Ermessen jemand anderes für kompetenter hält ohne es offen zugeben zu wollen. Gutmütige Teammitglieder können unter so einer Federführung leicht ausgenutzt werden, immer mehr Verantwortung zu übernehmen und Überstunden zu machen. Der subtile Mix aus Mitleidserzeugung und langer Leine wirkt auf manche Menschen sogar wie der Anlauf für die nächste Stufe der Karriereleiter. Die Angreiferin maskiert sich als Opfer. Und je höher der moralische Anspruch im Arbeitsumfeld ausfällt, desto besser gelingt Falschspielern dieser Maskenmechanismus. Das gilt übrigens auch für andere Minderheiten: Ein schwuler Entscheidungsträger kann Kritik ebenso aus dem inhaltlichen Feld auf die ethische Ebene ziehen und sich so praktisch unangreifbar machen. Und es gilt für ganz besonders zart Besaitete, die schnell ein Tränchen vergießen, obwohl ihnen niemand schaden will.

 

Wenn als Führungskraft in einem Umfeld arbeiten, in dem sich möglicherweise über viele Jahre solche Verhaltensweisen etabliert haben, haben Sie nur eine Chance: Unbeeindruckt bei der Sache bleiben. Keine empfindsame Mimik, kein Ablenkungsmanöver auf Nebenkriegsschauplätze. Klare, geschäftlich-sachliche Aussagen gepaart mit freundlicher Neutralität und stures Abarbeiten der Agenda sind das einzige, was aus meiner Erfahrung helfen kann.

 

Exklusiv für Frauen, die sich in einer solchen Zwangslage wiederfinden oder früher wiedergefunden haben und sowas nicht wiederholen möchten, starte ich im September die 10-teilige Workshop-Reihe Progress Mentoring für weibliche Führungsstärke. Die Anmeldefrist läuft im Juli aus.
 

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