Die vermeintliche Wechselwirkung von Charisma und Führungsqualität

„Ein Führer ist jemand, der Hoffnung verkauft“, wusste schon Napoleon. Kein Zweifel also, dass Charisma für Führungskräfte förderlich sein kann. Es versetzt sie in die Lage, Beziehungen zu Menschen aufzubauen und zu pflegen sowie Mitarbeiter von bestimmten Vorgehensweisen zu überzeugen. Eine faszinierende Studie von Ronald Deluga setzte sich mit dem Charisma und dessen Schattenseiten anhand von 39 US-Präsidenten auseinander. Sein Ziel war es zu ermitteln, inwieweit sich das Charisma, der Narzissmus und die Führungsleistungen dieser Präsidenten überschnitten. Zur Beurteilung legte Deluga verschiedenen unabhängigen Bewertern anonymisierte biografische Beschreibungen vor. Darunter befanden sich Aussagen wie „bleibt in Kontakt mit der amerikanischen Öffentlichkeit und ihrer Stimmung“, „weiß Rhetorik einzusetzen“ und „strahlt Energie und Entschlossenheit aus“. Eine Reihe weiterer Bewerter sollte die Präsidenten hinsichtlich verschiedener Eigenschaften von Narzissmus beurteilen, zum Beispiel Eitelkeit, Anmaßung, und Überlegenheit. Um die Leistung der Präsidenten zu beurteilen, zog Deluga Expertenmeinungen amerikanischer Historiker hinzu, in denen Faktoren wie allgemeines Ansehen, Handlungsstärke, Kriegsaktivitäten und administrative Leistungen berücksichtigt wurden. Am Beispiel Franklin D. Roosevelts, des Spitzenreiter aller drei Eigenschaften, veranschaulichte Deluga den Zusammenhang zwischen Charisma, Narzissmus und der Leistung. „Er war äußerst überschwänglich und selbstbewusst. Er besaß eine überzeugende, lebendige und wohlklingende Stimme und legte in Krisenzeiten bemerkenswerte Führungsqualität an den Tag. Darüber hinaus wahrte Roosevelt stets ein Image der Überlegenheit und ließ keinen Zweifel an der Bedeutung und dem Wert seiner Arbeit. Sogar seine glühendsten Unterstützer kritisierten regelmäßig Roosevelts undurchsichtige und zu Täuschungen neigende Natur. Er war niemandem gegenüber jemals vollkommen offen.“ 

 

Um Menschen Hoffnung zu geben, eine Vision zu verkaufen oder menschlichem Tun einen Sinn zu verleihen, gibt es kein besseres Medium als das Charisma (siehe auch jüngst angesehene CEO’s wie Steve Jobs und Elon Musk). Doch Achtung: Wenn Führungspersönlichkeiten jedoch inkompetent sind oder eine fragwürdige Moral besitzen, richten sie die Macht ihres Charismas allerdings toxisch an – in vielen Fällen leider unbemerkt oder unkommentiert. Tritt Narzissmus in einer Überausprägung und in Kombination mit Charisma auf, kann er Führungskräfte extrem gefährlich machen. Das heißt: Je mehr wir uns darauf verlassen, dass Charisma als Führungspotenzial oder gar als Führungseigenschaft wahrgenommen wird, desto häufiger landen wir bei toxischen Führungskräften, die ihren Charme und Einfluss nutzen, um die Macht an sich zu reißen und Mitstreiter zu manipulieren.

 

Wenn die Menschheitsgeschichte eine wichtige Lektion in Sachen Leadership bereithält, so ist es die, dass charismatische Eigenschaften unmoralischer und selbstsüchtiger Führungspersönlichkeiten ein mächtiges Täuschungsinstrument darstellen. Osama bin Laden oder Donald Trump wäre es ohne Charisma kaum gelungen, einen solchen Schaden anzurichten, mit dessen Folgen wir noch lange zu kämpfen haben werden. Diese dunkle Seite des Charismas ist auch in weniger extremen Leadership-Graden zu beobachten. Regelmäßig ernten – ganz besonders in Medien dargestellte – Führungspersönlichkeiten hohe Zustimmung für ihr Wirken, selbst wenn ihre eigentliche Leistungsqualität zu wünschen übrig lässt. Menschen sind eher bereit, einen charismatischen „Anführer“ zu tolerieren als eine ausgezeichnete Führungskraft, der es an charismatischer Ausstrahlung fehlt.

 

Dabei ist der Effekt des Charismas auf die Führungsleistung selbst bei kompetenten und moralisch einwandfreien Führungspersonen ambivalenter als vermutet. Jasmine Vergauwe von der Universität in Gent hat diesen Effekt an 800 Führungskräften und etwa 7.500 Mitarbeitern nachgewiesen. Die Ergebnisse zeigen, dass charismatische Führungspersonen bei strategischen Aufgaben gut abschneiden, zum Beispiel bei der Präsentation einer Vision, bei Richtungsvorgaben und bei der Förderung von Innovationen. Schlecht schnitten sie bei taktischen Aspekten der Führung ab, zum Beispiel in Hinblick auf die Effizienz sowie ihres Umsetzungs- und Organisationsvermögens. Vergauwe und ihre Kollegen kamen zu dem Schluss, dass eine ausgewogene Dosis an Charisma Führungskräfte flexibel genug macht, um sowohl strategisch als auch operativ gute Leistungen abzuliefern.

 

Selbst wenn Charisma zu mehr Einfluss führen kann, führt ein zu starker Fokus auf diese Eigenschaft dazu, dass wir wichtigere Führungsqualitäten wie Kompetenz, Integrität und Eigenwahrnehmung ignorieren. Ich hoffe, dass Sie sich von nun an von Charisma nicht mehr als bequemen Indikator für Führungskompetenz irreführen lassen, sondern die abstrakte Natur von Leadership in ihrer Vielfalt begreifen und geeignetere Stellvertreter und objektive Merkmale für Führungstalent und Führungsleistung heranziehen. Beispielsweise gibt die DNLA-Potenzialanalyse einen Überblick über wichtige soziale und kommunikative Eigenschaften – nicht nur personenzentriert wie Eigenverantwortlichkeit und Einfühlungsvermögen, sondern auch hinsichtlich Führungsqualitäten wie Delegationsvermögen, Umgang mit Macht, Teamorientierung und Informationsbereitschaft.

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