Joachim Diercks ist Geschäftsführer der CYQUEST GmbH mit Sitz in Hamburg. CYQUEST ist spezialisiert auf die unternehmens- und hochschulspezifische Erstellung von Lösungen aus den Bereichen Eignungsdiagnostik (Online-Assessment) sowie Berufs- und Studienorientierung.
Diercks ist Herausgeber des Buchs Recrutainment (2014), Autor einer Reihe von Fachartikeln zu verschiedenen eRecruiting- und Employer Branding Themen sowie regelmäßiger Referent bei Fachkongressen. Mit dem Recrutainment Blog ist er für einen der meistgelesenen deutschsprachigen HR-Blogs verantwortlich.
An den jüngsten Azubi Recruiting Trends wird ersichtlich, dass online Bewerbungsverfahren von jungen Menschen weniger gewünscht ist als von digitalisierungsaffinen Unternehmen. Welche Beobachtungen machen Sie selbst?
Naja, man könnte ketzerisch fragen: Wer bewirbt sich überhaupt gern? Bewerbungen sind immer, egal auf welchem Wege, mehr oder weniger unangenehm, weil man sich einer Auswahl und einer Bewertung stellen muss. Das hat erst mal gar nicht so viel mit der Art und Weise oder dem Bewerbungskanal zu tun.
Insbesondere bei jungen Menschen, die sich zum ersten Mal überhaupt bewerben, kommt natürlich noch eine erhebliche Unsicherheit hinzu, weil man das noch nie gemacht hat. Und Mama und Papa sind meist nur mäßig gute Hilfen, weil deren Beratung, wie „man sich denn richtig bewirbt“, meist auch nicht auf dem aktuellen Stand ist.
Die Online-Bewerbung hat teilweise noch einen schlechten Ruf, weil man da an endlos lange, unkomfortable und technisch nicht funktionierende Formulare denkt. Wenn die Online-Bewerbung so aussieht, dann ist der schlechte Ruf auch berechtigt. Wenn deren Bearbeitung hingegen einfach ist und zunächst auch nur die wirklich relevanten Informationen abgefragt werden, dann erfreuen sich diese bei Bewerbern sogar einer sehr hohen Beliebtheit. Weil sie eben bequem sind.
Ähnliches gilt für Online-Tests. Getestet wird niemand wirklich gern, aber die Bewerber sehen ein, dass Tests sinnvoll sind und für eine gute und faire Auswahl relevante Informationen liefern. Und wenn schon getestet wird, dann am liebsten online, weil es nicht nur für das Unternehmen sehr ökonomisch ist, sondern eben auch für den Kandidaten unheimlich praktisch. Wenn der Test dann auch noch gut aussieht und etwa Informationen über das Unternehmen bereithält, dann steigt die Akzeptanz noch einmal deutlich an. Der Anteil an Bewerbern jedenfalls, die z.B. „wegen eines Online-Assessments“ ihre Bewerbung abbrechen, ist verschwindend gering.
Gleichzeitig sind soziale Plattformen die erste Adresse, um jungen Menschen zu begegnen. Auf welche Weise können Unternehmen im Social Web die Arbeitskräfte von morgen anwerben?
Hmm, ich bin nicht so ein großer Freund von pauschalen Aussagen, welche Kanäle sich eignen und welche nicht. Als Social Media aufkam, hieß es immer: Man muss als Arbeitgeber in Facebook sein, weil sich dort die Zielgruppe aufhält. Abgesehen davon, dass sich junge Menschen heute eh nicht mehr wirklich auf Facebook aufhalten, war die Pauschalität der Aussage auch damals schon falsch. Nur weil eine Zielgruppe eine Plattform oder App nutzt, heißt das nicht, dass diese auch pauschal für Arbeitgebermarketing taugt. Es kommt immer auf den Einzelfall an: Welches Unternehmen bewirbt dort welche Inhalte in welcher Form? Daher gibt es auch keine Patentlösungen.
Solange man aber zwei Dinge beherzigt, hat man zumindest eine ganz gute Chance, junge Menschen auf diesen Kanälen erfolgreich zu erreichen:
a. Stay real: Die Informationen muss relevant und glaubhaft sein.
b. Die Botschaft und die Darreichung der Botschaft muss zum jeweiligen Medium und Kanal passen. Man kann nicht auf Snapchat das gleiche machen wie auf Instagram oder TikTok.
Wo ist in Ihren Augen die ideale Schnittstelle, um von der virtuellen Kommunikation in die echte Unternehmenswelt zu wechseln?
Auch hier gibt es keine pauschale Antwort, aber um es ganz grob aufzuteilen, könnte man sagen:
Bei allem, was in den Bereich der Selbstauswahl (also der Entscheidung eines potentiellen Kandidaten, ob er sich überhaupt bewerben will) und nachgelagert in die so genannte „Negativ-Selektion“ (also der Identifikation derjenigen Bewerber durch das Unternehmen, die NICHT in Frage kommen) fällt, dort kann der Anteil automatisierter und digitalisierter Kommunikation tendenziell hoch sein.
Bei allem, was in die „Positiv-Selektion“ fällt, also der finalen Auswahl derjenigen, die man einstellen will, sehe ich aktuell und (hoffentlich) bis auf Weiteres vor allem die Mensch-Mensch-Kommunikation.
Welche Empfehlungen geben Sie Unternehmen grundsätzlich, die ihre Personalgewinnung auf heutige Erfordernisse updaten wollen?
Ein ganz wichtiger Punkt: Man muss verstehen, wie wichtig die Selbstselektion für die Personalgewinnung ist. Das heißt, das ganze Personalmarketing, das ganze Employer Branding sollte daraus ausgerichtet sein, dass sich die „Passenden“ bewerben UND die „Unpassenden“ sich NICHT bewerben. Das bedeutet, dass man sich möglichst unterscheidbar und distinkt macht. Eine Employer Brand ist NICHT Everybody´s Darling.
Zweitens: Man sollte überlegen, wie man die Personalgewinnung so personalisiert wie möglich hinbekommt. Amazon, Google, Facebook – all diese Angebote sehen für jeden Nutzer individuell komplett unterschiedlich aus. Karriere-Websites hingegen für jeden gleich. Es wird mir aktuell im Recruiting immer noch viel zu sehr in Zielgruppen statt Zielpersonen gedacht.
Drittens (und das ergibt sich teilweise aus den beiden vorgenannten Punkten): Alles wird Matching! Damit meine ich, dass die Personalgewinnung auf „Passung“ bzw. „Fit“ ausgerichtet sein muss – inhaltlich, aber eben auch unterstützt durch Matching-Tools und -Technologien.
Schließlich, und das klingt vielleicht bei der Diskussion um HR-Tech etwas überraschend, ist Personalgewinnung dann erfolgreich, wenn es menschelt. Und da hängen, wenn man ehrlich ist, die Früchte ziemlich tief. Wenn Unternehmen es wieder hinbekämen, ihren Bewerbern gegenüber basale Grundtugenden wie Freundlichkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit zu leben, wären wir schon erheblich weiter.