Wie gendersensibel müssen Führungskräfte heute sein?

Unsere Sprache baut auf unserer Geschichte auf. Das ist die Begründung für vieles: für die männlich geprägte Ausdrucksform, für branchentypische Begriffe und Wörter mit regionalem Bezug. Und unsere Sprache bzw. unser individueller Sprachgebrauch ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Und da diese sich nicht von einem Tag auf den anderen Tag verändert, ergeht es uns sprachlich genauso. Neue Begrifflichkeiten brauchen Raum und Wiederholung, um in den eigenen Wortschatz aufgenommen zu werden.


Im März 2023 habe ich im loyal Blog bereits über die Vorteile einer geschlechtersensiblen Ansprache potenzieller Bewerbungskandidatinnen und -kandidaten geschrieben. Doch ein neutral ausgeschriebenes Stellenprofil reicht nicht aus, um Firmenfremde davon zu überzeugen, dass in einem Unternehmen echte Vielfalt gelebt wird. Auch wenn unumstößliche Beweise schwer zu erbringen sind, zahlen sich der Umgang und der Sprachgebrauch im täglichen Firmenalltag am meisten aus. Wie vielfältig ist Ihr Unternehmen hinsichtlich Bevölkerungs-, Alters-, Kultur- und Persönlichkeitsgruppen?


Welche Chancen ergäben sich für Sie, wenn Sie bei Ihrer Stellenbesetzung neben der fachlichen Qualifikation die Individualität der Menschen, die sich für Ihr Unternehmen einsetzen sollen, in den Vordergrund rückten?

Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Sie drückt aus, wie wir die Welt sehen – sie beeinflusst unser Denken, unsere Haltung und damit unser Handeln. Ein gleichberechtigter und diskriminierungsfreier Umgang miteinander beginnt daher mit einem sensiblen Umgang mit Sprache. Oder anders formuliert:


Sprache, die nicht geschlechtersensibel eingesetzt wird, diskriminiert.


Bisher hinlänglich bekannt sind männliche Formen, z.B. bei Berufstiteln (Geschäftsführer, Therapeut, Manager, Kurier, Experte, ...), die bei den Zuhörenden automatisch männliche Assoziationen auslösen und so zur Benachteiligung von Frauen führten. Dies spiegeln die Zahlen wider, die sich insbesondere in höheren Führungs- und Management-Ebenen zeigen. Viele Frauen fühlen sich durch diese Begriffe nicht in gleicher Weise angesprochen, manche reagieren sogar pikiert. Sagen wir anstelle von „Chef“ oder „Putzfrau“ künftig „Führungs- und Reinigungskraft“, so erkennen wir automatisch an, wie facettenreich die jeweilige Berufsgruppe sein kann und schließen Menschen aller geschlechtlichen Identitäten ein.


Keine Frage des OB, sondern kreative Basis fürs WIE!


Die optisch auffälligste Form geschlechtersensibler Sprache ist die Nutzung eines Sonderzeichens, wie beispielsweise des Doppelpunktes oder des Sternchens. Diese – von manchen (noch) als störend empfundene – Möglichkeit, geschlechterumfassende Wörter zu schaffen, ist nur eine Variante, in der das Sonderzeichen sowohl die männliche als auch die weibliche Form abbilden soll. Durch das Zeichen in der Mitte ist der Spielraum gegeben, alle weiteren geschlechtlichen Identitäten einzubeziehen; zum Beispiel Mitarbeiter:in. Gesprochen werden diese Wörter mit einer kurzen Pause an der Stelle des Zeichens. Diese Pause wird  bleibt stimmlos (Glottalstop genannt) und ist uns aus Begriffen wie Theater, Hebamme, Spiegelei, etc. geläufig.


Noch mehr Raum für den kreativen Umgang mit Sprache bieten geschlechterneutrale Formulierungen. Die Entwicklung, die hier zu sehen ist, ist beeindruckend. Wörter wie „Mitarbeitende“ haben es in kurzer Zeit in den Wortschatz unserer Organisation geschafft und werden inzwischen völlig selbstverständlich genutzt. Ob geschlechterneutrale Substantive (Elternteil statt Mutter/Vater), der Gebrauch von Ableitungen (Führungskraft statt Chef:in), die Nutzung von Pluralformen (die Studierenden) oder Umschreibungen (die betroffene Person statt der Betroffene) – wo ein Wille ist, findet sich auch eine Formulierung. Denn auch die Sprache wird letztlich von uns allen gebildet. Sie ist eine Frage der Einstellung – nicht der Komplexität.


Gemeinsam Sprache gestalten 


Zugegeben: Nur weil eine Formulierung verständlich klingt, einerseits bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch in einem Vertragsentwurf so Eingang finden sollte. Und häufig liegt auch keine gute Formulierung auf der Hand. Dafür gibt es Hilfe wie https://www.genderleicht.de und https://geschicktgendern.de und zahlreiche weitere Websites. 

Für Ihre Organisation empfehle ich Ihnen einen Leitfaden für den Umgang mit geschlechtersensibler Sprache.


Ich beobachte meistens, dass sich jede:r die eigene Sprache zurechtlegt, jedoch kein einheitlicher Kodex vereinbart wird. Das muss im ersten Moment nicht schlimm sein, doch gerade wenn es darum geht, dass sich Mitarbeitende mit Ihrem Unternehmen identifizieren sollen, dass neue Fachkräfte auch mit besonderen (Persönlichkeits-) Merkmalen im Team erwünscht sind und mehr Bewerbungseingänge bewirkt werden sollen, wird es wichtig, darauf zu achten, geschlechtersensibel zu kommunizieren. Da allen Firmen bei diesem recht neuen Thema eine gemeinsame Grundlage für die einheitliche Herangehensweise fehlt, empfehle ich Ihnen, diese Lücke mit eigenen Tipps, Beispielen und Erklärungen in mündlicher und geschriebener Form, für E-Mail-Kommunikation und Stellenausschreibungen zu schließen.

Gender-Knigge oder Benimm-Leitfaden


Selbst der Akt der gemeinsamen Spurensuche für einen solchen Leitfaden ist eine schöne Form der Teamentwicklung und eine Einladung zum kreativen Umgang mit Sprache. Beschäftigen Sie Menschen aus der Kommunikations- und/oder Marketingbranche, lassen Sie diese eine zentrale Rolle einnehmen oder das Vorgehen von externer Seite moderieren: Wir können mit Kreativität lesenswerte, verständliche, diskriminierungsfreie und inklusive Wörter und Formulierungen finden. Wir können Anregungen und Inspirationen liefern, die jede:r entsprechend der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Sprachgebrauchs nutzen und weiterentwickeln kann.


Zum guten Umgang miteinander gehört auch, dass Informationen allen zugänglich sind – beim Diversität also auch Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen. Technische Entwicklungen können den barrierefreien Zugang zu Websites schaffen und Spracherkennungssoftware die Kommunikation erleichtern. Wir sollten bedenken, dass wir uns hier erst am Anfang eines neuen Kapitels inklusiver, diskriminierungsfreier Sprache befinden. 
 

 

Symbolbild oben via Wikimedia Commons, Coyote III, CC BY-SA 4.0
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